Letzte Aktualisierung: vor 1 Tag
Telc
Deutsch
Lesen Sie zuerst den Artikel und lösen Sie dann die Aufgaben (1–5) zu dem Text. Entscheiden Sie, welche Lösung (a, b oder c) richtig ist.
33% (1 von 3 Personen konnten beim ersten Mal richtig antworten)
Die Schaufensterpuppe stammt ursprünglich aus Mailand, wo sie erstmals im Jahr 1862 präsentiert wurde. Erfunden wurde sie von dem italienischen Schneider Giorgio Bellini, der seine Entwürfe zunächst noch auf einfachen Schneiderpuppen zeigte. Bald darauf begannen andere Mailänder Schneider, ihre Kreationen auf Puppen vor ihren Boutiquen auszustellen, um Passanten in die Geschäfte zu locken. Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen großer Warenhäuser, erlebten die Schaufensterpuppen schließlich ihren Durchbruch.
In den 1940er-Jahren entwickelte der Puppenmacher Howard Jenson aus New York die erste lebensechte Puppe namens Elsa. Sie war so beliebt, dass sie sogar auf gesellschaftliche Events eingeladen wurde und Jenson berühmt machte. Seitdem spiegeln Schaufensterpuppen den Zeitgeist und aktuelle Schönheitsideale wider.
In Graz arbeitet heute Florian Moser, der zunächst Puppen sammelte und schließlich sein Hobby zum Beruf machte. Der 39-Jährige besitzt mittlerweile über 1.200 Modelle und ist in Österreich der einzige Fachmann, bei dem man Schaufensterpuppen reparieren oder mieten kann. Wer ihn aufsuchen will, steigt hinunter in sein Atelier im Keller eines alten Stadthauses. Hinter der schweren Metalltür erwartet Besucher eine Werkstatt voller unterschiedlichster Puppen: Kinder, Frauen und Männer – geschminkt oder schlicht, schlank oder kräftig gebaut, stehend oder sitzend, teilweise in Kisten verstaut oder von der Decke hängend.
Draußen präsentieren sich die Puppen stets perfekt, doch hier im Atelier wird kräftig an ihnen gearbeitet. Moser gleicht einem Schönheitschirurgen für Schaufensterpuppen: Er repariert sie, entfernt alte Farbe, grundiert neu, bemalt sie sorgfältig und trägt sogar falsche Wimpern auf. Die Kosmetikprodukte dafür kauft er meistens ganz gewöhnlich in der Drogerie, gelegentlich aber auch von Luxusmarken wie Chanel oder Dior. Nur herkömmlichen Nagellack darf er nicht benutzen, denn dieser würde die Öl-Farben auflösen.
Häufig fehlen den Puppen Körperteile wie Finger, Nasen oder Ohren. In diesen Fällen verwendet Moser eine speziell von ihm entwickelte Modelliermasse, deren Zusammensetzung er streng geheim hält. Seine Preise dagegen sind transparent: Für eine neue Nase, ein Ohr oder ein Kinn berechnet er rund 50 Euro. Ein komplett neuer Kopf kostet etwa 2.500 Euro und benötigt etwa acht Wochen Arbeit. Die Rekonstruktion eines ganzen Körpers dauert mehrere Monate und kostet bis zu 15.000 Euro.
Obwohl er als Junge lieber mit Flugzeugen spielte, faszinierten Florian Moser schon damals die Puppen in den Schaufenstern. Heute kann er an keinem Geschäft vorbeigehen, ohne sofort zu erkennen, von welchem Hersteller die Puppen stammen. Sein erstes Exemplar kaufte er noch während seiner Lehre für umgerechnet rund 250 Euro, die er in Raten bezahlte. Diese erste Puppe – ein Modell namens "Giovanna" – bekam bald Gesellschaft, und seine Sammlung wuchs stetig auf über hundert Exemplare an.
Aus Leidenschaft wurde Berufung, und Moser perfektionierte sein Handwerk, bis er schließlich ein altes Puppenunternehmen in Graz übernahm. Heute vermietet und repariert er Puppen, produziert Sonderanfertigungen und verkauft für internationale Hersteller. Besonders stolz ist er auf seine exklusive Zusammenarbeit mit einer französischen Schaufensterpuppen-Firma. Während viele europäische Hersteller ihre Produktion nach Asien verlagerten, setzt Moser auf Qualität und Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit einem lokalen Farbproduzenten entwickelte er ökologische, ungiftige Farben, die selbst in direkten Kontakt mit Haut oder Kleidung kommen dürfen. „Diese Farben könnte man theoretisch sogar essen, ohne Schaden zu nehmen“, erklärt er schmunzelnd.
Weltweit existieren etwa hundert Firmen, die zweimal jährlich neue Kollektionen von Schaufensterpuppen auf den Markt bringen. Wie in der Modewelt sind auch hier Trends entscheidend: In Italien, Großbritannien und den USA sind derzeit naturgetreue Modelle besonders gefragt, während in Österreich abstrakte Formen dominieren. Doch der Trend geht klar zu mehr Vielfalt und Individualität, berichtet Moser abschließend.