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Grenzerfahrungen üben auf viele Menschen eine besondere Anziehungskraft aus, weil sie uns an die Grenzen des Machbaren und zugleich an die Grenzen unserer eigenen Persönlichkeit führen. Wer sich auf das Unbekannte einlässt, erlebt nicht nur die Natur neu, sondern auch sich selbst.
Der Forscher und Expeditionsleiter Martin Krüger spricht über die Faszination solcher Erlebnisse und ihren tieferen Sinn.
Das Wort „Abenteuer“, das in meinem Zusammenhang so oft gebraucht wird, habe ich stets anders verstanden. Für mich geschieht Abenteuer im Kopf. Es ist die Freiheit, das Unmögliche zu denken und das zu versuchen, wovon andere sofort behaupten: Das ist unmöglich.
Schon als Jugendlicher hat mich diese Freiheit, aufzubrechen, geprägt. Das Eintauchen in wilde Landschaften gibt einem eine ungeheure Kraft. Doch Träume, aus denen echte Visionen entstehen, gehören nicht nur einer einzelnen Person, sondern der Gesellschaft als Ganzes. Visionen treiben schließlich Handlungen an. Und wenn man sich umsieht, erkennt man unzählige Probleme. Deshalb brauchen wir dringend mehr Menschen mit Weitblick – vor allem, wenn es um Natur- und Klimaschutz geht.
Mich haben die Eisregionen seit jeher begeistert. Sie sind wie ein Spiegel des Unbekannten: ohne Ausrüstung unbewohnbar, aber von einzigartiger Schönheit. Erobern im klassischen Sinne müssen wir dort nichts mehr – es gibt keine weißen Flecken auf den Karten. Doch auf meiner persönlichen inneren Landkarte finde ich diese leeren Stellen. Wenn ich mich auf diese Landschaften einlasse, entdecke ich zugleich mich selbst.
Ein besonders prägendes Erlebnis war eine Expedition zum Nordpol, die ich 1993 leitete. Mit einem internationalen Team aus neun Nationen legten wir über 1.200 Kilometer auf dem gefrorenen Meer zurück. Das war kein Spaziergang: Erfrierungen, Schmerzen, Hunger begleiteten uns. Aber genau dadurch kam man der Natur sehr nahe. Für mich gilt bis heute: Der Weg selbst ist das Ziel. Acht verschiedene Kulturen, die gemeinsam eine so schwere Aufgabe meistern mussten – das ist eine Schule fürs Leben.
Oft werde ich gefragt: „Wem nützt das?“ Zuerst nützt es mir, weil ich meine Träume lebe, ohne anderen dadurch zu schaden. Gleichzeitig sehe ich meine Reisen als Möglichkeit, Menschen Einblicke in Landschaften zu verschaffen, die sie selbst nie erleben können. Ich reise stellvertretend, um auf diese Naturräume und die dort lebenden indigenen Gemeinschaften aufmerksam zu machen, die von Veränderungen meist als Erste betroffen sind.
Ich wollte nie völlig aussteigen oder alle Brücken abbrechen. Freunde und Familie sind für mich ebenso wichtig wie das Unterwegssein. Aber ich erkenne die Schattenseiten der modernen Zivilisation: Wer sich dauerhaft von der Natur entfernt, verliert das Gespür für die wesentlichen Fragen des Lebens. Diese Angst habe ich heute nicht mehr – auch wenn ich große Teile des Jahres draußen verbringe, wo ganz andere Regeln gelten. Dort lernt man Demut – vor der Natur, vor dem Leben selbst.
Darüber hinaus versuchen wir, unsere Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben. Im Sommer 2009 organisierten wir auf Grönland ein Jugendcamp, an dem sogar Schüler aus Argentinien teilnahmen. Unter wissenschaftlicher Anleitung erhielten sie theoretisches Wissen über die Polarregion, und wir nahmen sie auch hinaus ins Eis, damit sie spüren konnten, wie ein Gletscher wirklich ist. Wir möchten die Jugend für diese einzigartige Natur begeistern, damit sie als Botschafter in ihre Heimat zurückkehren und ihre Altersgenossen sensibilisieren.
In naher Zukunft brechen wir erneut ins Eis auf. Für mich ist das immer wie eine Reise in eine andere Welt – und zugleich freue ich mich jedes Mal darauf, wieder heimzukommen.