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Wie Kleinkinder ihre Welt begreifen
Schon im ersten Lebenshalbjahr beginnen Babys, zwischen realen und unmöglichen Abläufen zu unterscheiden. Sie erfassen Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung – eine erstaunliche Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass Neugeborene noch vor wenigen Jahrzehnten als passive Wesen galten. Damals nahm man an, dass Säuglinge kaum Reize wahrnehmen und keinen echten Schmerz empfinden. Die moderne Entwicklungspsychologie hingegen weiß heute: Schon im Babyalter setzen Kinder komplexe Lernprozesse in Gang.
Sie lernen nicht nur durch Nachahmung der Erwachsenen, sondern auch durch aktives Ausprobieren und Beobachten. Die zentrale Frage vieler Studien lautet daher: Was bringt ein Kind bereits mit, und was entwickelt sich erst durch Erfahrung? Anders gefragt: Ist Intelligenz angeboren – oder kann sie gefördert werden? Und wenn ja, wie?
Anlage und Umwelt im Wechselspiel
Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass etwa die Hälfte unserer geistigen Fähigkeiten genetisch verankert ist. Die andere Hälfte ergibt sich aus unserem Umfeld: Familie, Freundeskreis, Erziehung, Bildung, soziale Erfahrungen. Doch das Verhältnis zwischen Erbe und Umgebung verändert sich mit dem Alter. In der frühen Kindheit spielen Umwelteinflüsse eine deutlich größere Rolle. Laut dem amerikanischen Genetiker David Kellor beeinflusst die Umgebung bei Kleinkindern bis zu 80 % der kognitiven Entwicklung.
Je älter wir werden, desto stärker tritt der Einfluss der Gene hervor. Bei Erwachsenen sind es laut Forschern etwa 60 %, die auf das Erbgut zurückgehen. Trotzdem bleibt klar: Für kleine Kinder ist der Kontakt zu Menschen – nicht zu Maschinen – der wichtigste Lernfaktor. Besonders hilfreich sei laut Experten eine Umgebung, in der gemeinsam gelesen, erzählt und gespielt wird.
Kinder werden klüger – aber nicht durch Technik
Studien in mehreren europäischen Ländern zeigen: Kinder zwischen drei und sieben Jahren verfügen heute über mehr kognitive Fähigkeiten als Gleichaltrige vor 25 Jahren. Durchschnittlich steigt der IQ alle zehn Jahre um etwa drei Prozent. Doch liegt das wirklich daran, dass schon Einjährige mit sprechenden Spielzeugen hantieren oder Videos auf Tablets schauen?
Der Entwicklungsbiologe Prof. Dr. Jens Albrecht aus Helmburg verneint das: „Intelligenz ist nicht gleich Wissen. Es geht um das Erfassen von Zusammenhängen.“ Entscheidende Gehirnregionen wie der Stirnlappen sind bei der Geburt zwar angelegt, müssen aber erst durch gezielte Reize aktiviert werden. Das geschieht am besten durch einfache Alltagssituationen: Ein Gummitier in der Badewanne, das man berühren, bewegen und benennen kann, wirkt stärker auf das kindliche Gehirn als ein Bild auf dem Bildschirm.
Technik als Zusatz, nicht als Ersatz
Heißt das, digitale Medien sind grundsätzlich schädlich? Nicht unbedingt. Die Entwicklungsforscherin Dr. Alina Sommer aus dem Forschungsinstitut Wetterstein betont: „In kleinen Dosen richten Tablets oder Lerncomputer keinen Schaden an. Doch der tatsächliche Nutzen ist fraglich.“ Wirklich förderlich ist immer die menschliche Interaktion: Das Kind sollte beobachtet, aber nicht ständig korrigiert werden – und bei Bedarf Hilfe erhalten, ohne den eigenen Entdeckungsdrang zu verlieren.
Am meisten lernen Kinder, wenn sie mit Händen, Sinnen und Neugier ihre Umgebung erkunden – ob im Sandkasten, auf einer Wiese oder beim Spielen im Regen. Denn dort, so sind sich Pädagogen einig, wird aus Erfahrung echtes Verständnis.